Lyrische Texte | Photographie

© text/photographie: jörg hofmann

maske

böse wird kein mensch geboren
am anfang sind sie wir alle gut
doch fehlt die liebe kommt die angst
die einsamkeit und oft die wut

bald lernt die wut sich zu maskieren
mit anzug, koffer, stock und hut
lernt worte weise klingen lassen
lernt wie man gut das böse tut

sie spricht zu laut, gibt vor zu wissen
zu widersprechen braucht es mut
daran kannst du sie leicht erkennen
nimm dich in acht vor ihrer brut

denn viele folgen stumm, maskiert und blind
aus finsternis und einsamkeit ins dunkle licht
nur liebe kann sie heilen und das kind
von seiner angst befreien – und die maske bricht

 

komplex

es sei, so die experten, schwierig
für laien undurchdringliches gewächs
man müsse abwarten und weiter schießen
denn ja, die lage, die sei überaus komplex:

denn auf der einen seite stehn die guten.
die bösen müssen weg – ganz schnell
verluste seien dabei durchaus akzeptabel
alles andere traumtänzerei und …
noch dazu unkonventionell

man liefert also weiter waffen
tod garantiert und made in germany
ein siegel für verlässlichkeit
die exportstarke sterbeindustrie

ich bin nicht teil von eurem wahn, all das ist nicht in meinem sinn
mir bleibt das träume tanzen, denn das ist das, wofür ich bin

 

die reise

unter millionen sternenaugen derer, die sich liebten
funkelnd umfangen von unendlichkeit
füllt sich mit nachtluft jede zelle, pocht dein herz
schon ahnst du morgenröte – es ist reisezeit

mit frühen sonnenstrahlen lernst du gehen
gelockt vom duft des frühlings froher farben
tanzt du auf regennassen gassen
stürzt, stehst wieder auf, wunden vernarben

durch nebeltäler, reißend fluten
in wolkenwälder, über gipfelschnee
führt dich dein pfad, durch sommergischt
und über manch vereisten sehnsuchtssee

eine hand, gerade noch nach deiner tastend, löst sich
eine katze, schnurrend auf dem schoß, wenn winterstürme wüten
ein herd, um seele, haut und kleid zu wärmen
ein weiches bett und arme, schlaf und träume zu behüten

dein lachen wundermedizin und liebe, unerschöpflich proviant
tage voller licht und blüten, flüchtig kurz die Jahre nur
die schatten wachsen, lang und immer länger
dein lied, du singst es selten und noch seltener in dur

reisegereift und zeitgeschmückt
siehst du die sonne abendvoll vergehen
die füße wund, der rucksack schwer und voller leben
bleibst du des wanderns müde schließlich stehen

unter millionen sternenaugen derer, die sich liebten
lässt du dich nieder, einfach so, am wegesrand
es pocht dein herz, die nachtluft flüstert leise:
du bist zurück, mein kind, wie war sie, deine reise?

 

 

land unter

unter uns unterwegs
untertanen unter unseresgleichen
unterwerfung unterzogen
unter strom und unterfordert

unermüdlich unterhaltung
unterwandern untergraben
unterlaufen unterweisen
unter strafe untersagt

untätig unentschieden
unter vorwand unterlassend
unermüdlich untermauernd
und unterdessen unter wasser

unter umständen unterbewusst und
unter Tage unterrichtet untergehen?

 

 

überbordend

es pocht das kleine
mutgetränkte herz
der sommer
lockt die flaumgefederten
vom nestrand blinzelnden
beflügelnd auf die reise

sprung ins bodenlose
wildfreies selbstsein witternd
federführend wagemutig
majestätisch gravitätisch
verwegen ausgelebter leicht:sinn
zügellose schwerloslust
verzehrend ahnungstrunken
anmaßend maßlos
überbordend

ich?

sprachlos

 

 

schonzeit

die tage auf links gezogen
nichts passt mehr, alles nichts
berührt geführt und matt
der unumstößlichkeiten angesichts

entführ mich hinters licht
entfremde mich
entwende mich
entsende mich
fort, fort
zu dir

schwerelos lass ich mich wiegen
in deine tränenträume, die versunken
grad noch reisefiebrig fernwehtrunken
nun jäh vor anker augenscheinlich liegen

ist dieses weiche lager himmelhoher maientriebe
die wolkenkarawanen windzart sanft liebkosen
spätfrühlingstrost? versteck der zufluchtslosen?
fürimmerort? gemach der zeitlosliebe?

ach, sommer, lass noch nicht die glutgestählten
sensen hungrig wieder kreisen
und hoher halme schützend grünen mantel
bloß nicht allzu bald verwaisen

 

 

tanz der schmetterlinge

tanz auf distanz
vom himmel ein stück
un:fassbarer flügelreiz
blütentraumesglück

flatterhaft sinnlich
un:bedingt unberührt
verwirrend ziellos klar
sommerwindverführt

unsichtbar verbunden
vertraut vereint vermählt
vogelfrei verletzlich
von der Liebe auserwählt

behutsam! sacht! sie sind berührend prachtvoll zart
und auch – wer weiß – vielleicht die letzten ihrer art

 

 

irren

die tage gezählt
verloren und zerrissen – so irrt
das blaue band des frühlings
herbststurmversehrt und hilflos
um sich schlagend
dort als wetterfahne
winterkälte witternd, wissend

die tage gezählt
verbannt, verjagt, vertrieben
irrt ein frühlingshauch, mehr nicht
durch diese leeren, kalten straßen
meiner sonst zuverlässig zähen zuversicht

ein vögelchen auf einem zaun
ganz nah
es weicht nicht
sieht mich an

grundlos sorglos zählt es keine tage
recht hat es: flügel braucht’s und mut
nur so wird alles wieder gut
wenn hoffnungslos – aber nicht ernst – die lage

 

 

carcans

der mond so weit
über dem wald
in der ferne
das meer.
übertönt
vom wind – er pflügt
durch die hohen pinien

die menschen in ihren behausungen
warten schlafend
träumend
vom spiel der wellen
von muscheln und möwen
von sand und salz
auf der haut

zaudernd dämmert der morgen

 

 

herbstwind

es kommt vor, du gehst fort
es kommt vor, du kommst nicht wieder
es kommt vor, ich suche dich
in meinen träumen, meinen liedern

manchmal huscht dein schatten
zärtlich über meinen schlaf
manchmal flüstert deine stimme
herbstlich tröstend in den bäumen

manchmal nachts in langen wintern
wachst und wärmst du mich

mein müdes kämpferherz

lass mich wind sein in den blättern
regentropfen an den fenstern
glut im lagerfeuer
baum am pfad
und abendstille

frucht und blüte
gischt und welle
sand zwischen den zehen
salz auf meereskinderlippen

lass mich tanz sein
singen, lachen – sorglos, frei
und übermütig gütig wie ein kind

lass mich weg sein
straße, stern und kompass
für all die, die bleiben und noch sind