Album „Amor“

AMOR (Album/CD, 2021)

„Das beste Flamenco-Gitarren-Soloalbum seit langer Zeit. Wer die Flamenco-Gitarre liebt muss das hören. Neben einer unglaublichen Virtuosität auf der Gitarre sind auch die Stücke wunderbar arrangiert und komponiert. Musik zum verlieben und genießen!“ | „Empfehlung für alle Gitarrenliebhaber! Flamenco Gitarre der Spitzenklasse. Absolut zu empfehlen.“ | „Liebevoll und virtuos arrangiert, hier schlägt mein Flamenco-Herz höher. Nicht nur für Liebhaber der Flamenco-Musik, zeigt hier ein grandioser Gitarrist wie inspirierend und entspannend zu gleich solistische Gitarrenmusik sein kann. Ein Muss für jeden Fan der akustischen Gitarre. Lädt ein zum Träumen und wärmt das Herz.“ | „Very good music. I listen with pleasure.“

Amor (Prolog)

Ja, es geht um die Liebe in all ihren Facetten! Für mich ist Liebe Motivation und Inspiration – gerade auch in der Kunst. Vielleicht ist Liebe sogar das zentrale Thema meines (jeden?) Lebens. Vorhandensein oder Abwesenheit eines bedingungslos liebenden Umfelds prägen meiner Ansicht nach entscheidend die persönliche Entwicklung und definieren letztendlich unser Lebensglück mehr als materielle Dinge es jemals könnten.

Mein eigener Weg war von Anfang an von Musik getragen. Zunächst in der mich mit Musik umgebenden Welt meiner Kindheit – Harmonie, Melodie, Rhythmus, Dynamik … ein für mich über alle Genres hinweg vertrautes Gefühl von Geborgenheit. Mein erstes Instrument, das Cello … Dann gab es Zeiten von Einsamkeit, in denen ich Zuflucht in der Musik fand, die mich immer so akzeptierte wie ich bin. Auf die Gitarre zu treffen, die in meiner „Barockmusik-Familie“ keinen Stellenwert hatte, war hierbei geradezu ein magisches Schlüsselerlebnis. Aber erst sehr viel später habe ich verstanden, dass dieser Schutzraum der Musik, in dem ich mich frei entfalten konnte – für mich – Liebe ist.  Wir – meine Frau, die Flamencotänzerin Sybille Märklin, und ich – gingen nach Spanien und ließen uns auf das bis zum heutigen Tag währende Abenteuer mit Haut und Haaren ein. Zum Glück war ich mit Anfang 20 frei genug, um meine Leidenschaft, Berufung und Liebe zum Beruf zu machen. In jedem Fall die zweitbeste Entscheidung meines Lebens!

Auch die Liebe zwischen den Menschen will erlernt und gepflegt werden: Freiheit und Verbundenheit nicht als Gegensätze sondern als selbstverständliche Einheit zu empfinden, als Balanceakt, der ständiger Übung und vor allem eines Grundvertrauens in die Welt bedarf. Meine Eltern sind während des 2. Weltkriegs in Deutschland geboren, ihre ersten Jahre waren geprägt von einer tiefen Erschütterung dieses Urvertrauens, der wirtschaftliche Aufschwung seit den 50er Jahren brachte Wohlstand und lenkte von den tiefen seelischen Wunden ab. Eine traumatisierte, kriegsgeprägte Generation, deren Kinder (wie ich) davon direkt betroffen sind und Vertrauen und Lieben erst wieder mühsam lernen mussten & müssen.

Danza de las mariposas (Zapateado)

Das scheue Annähern und das sich tänzelnde Umspielen der Schmetterlinge, die höher und höher fliegen, um irgendwann mit dem Himmel zu verschmelzen – eine lyrische Interpretation der Musik:

tanz der schmetterlinge

tanz auf distanz
vom himmel ein stück
un:fassbarer flügelreiz …
blütentraumesglück

flatterhaft sinnlich
un:bedingt unberührt
verwirrend ziellos klar …
sommerwindverführt

unsichtbar verbunden
vertraut vereint vermählt
vogelfrei verletzlich …
von der Liebe auserwählt

behutsam! sacht! sie sind berührend prachtvoll zart
und auch – wer weiß – vielleicht die letzten ihrer art

jörg hofmann

Ein metaphorischer Flug durch den triolischen Vierertakt des Zapateados als Sinnbild von Kraft und Verletzlichkeit bedingungsloser Liebe, die nichts zurückhält, dem Risiko zu fallen und dem Glück, vertrauen zu dürfen.

Al-Andalus (Soleá por Bulería)

Die Utopie einer Zeit und eines Landes, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion friedlich und in gegenseitigem Respekt miteinander leben. Ein Ort, an dem Musik und Tanz denselben Stellenwert haben wie Wissenschaft, Medizin, Architektur, Landwirtschaft und Handwerk … Die Gitarre webt als Vermittler zwischen Orient und Okzident einen Teppich aus freien Kadenzen und flamencotypischem 12er-Rhythmus der Soleá por Bulería, dem Echo des arabischen Ud (Kurzhalslaute), traditionellen, eher archaischen Flamencofiguren und zeitgenössischen, melodisch-harmonisch-technisch hochentwickelten „Falsetas“. Sie verkörpert hier das Echo von Al-Andalus, einer außergewöhnlichen Gesellschaft die im 15 Jh. durch die sog. „Reconquista“ (Rückeroberung) Spaniens durch christliche Herrscher beendet wurde. Vielleicht ist es mal wieder Zeit für ein neues gesellschaftliches Konzept, bei dem Liebe, Respekt, Glück und Zufriedenheit im Zentrum stehen?

Atardecer (Rumba)

Sevilla. Es wird langsam dunkel und die Schatten der riesenhaften Bougainvillea aus der ‚Casa de Pilato‘ von der gegenüberliegenden Straßenseite wölben sich vor dem fahlen Abendlicht tief und tiefer in unser Zimmer. Ich schreibe einen Brief, es ist mein letzter Brief an meine Oma – sie wird ihn selbst nicht mehr lesen können, aber ihre langjährige Untermieterin liest ihn ihr vor. Wir sind irgendwie verbunden, über die Distanz, über die Generationen und die so unterschiedlichen Lebensrealitäten hinweg. Diese Verbindung war in den letzten Jahren viel zu flüchtig gewesen und doch war sie spürbar. Ein Band, unsichtbar, ein Glück, nur in Musik auszudrücken … Ein paar Tage später die Nachricht, Abschied am Fluss, aber das Band, es bleibt.

Soledades (Soleá)

Madrid. Wir saßen in einem Café. Sie lebte allein in Madrid, um Flamenco zu lernen und erzählte, dass sie gerade ein Studio gemietet hatte, um eine Stunde das Gelernte zu wiederholen, Schrittkombinationen und Choreografien zu perfektionieren … und dann hatte sie dort vor dem Spiegel gesessen und geweint. Allein. Ich kann das nicht vergessen und schwanke bis heute zwischen Mitleid und Bewunderung. Ich hatte so oft so viel Einsamkeit in mir, die ich mir nicht zulassen konnte, meine Trauer verschluckt. Vielleicht weil ich stark sein wollte … inmitten der Menschen einsam, ich doch nicht. Mich selbst mit allem zu lieben, das zuzulassen, was ist, ist vielleicht meine größte Lernaufgabe, daher die Soleá, die Königin der Stile des Flamenco, eine Lektion in Liebe, Selbstachtung und Demut, sie aus dem Herzen zu spielen.

Cigüeñas y Azahares (Guajira)

Betörend ist der Duft der Azahares, der Orangenblüten im Frühling in den Straßen Sevillas, und über den Dächern der Altstadt kreisen die Cigüeñas, die Störche. Sie schwingen sich in weiten Kreisen immer höher hinauf und wenn die Zeit gekommen ist, ziehen sie wieder nach Norden. Wir waren, wir sind diese Cigüeñas! Nicht der Winter, sondern der Flamenco hatte uns nach Andalusien getragen – wir konnten uns nicht dagegen wehren (und wollten es auch nicht!). Wir hatten das gefunden, was ich allen Menschen wünsche. Was? Nun, es ist nicht zu übersehen, durchdringt dich und lässt dein Herz warm und hoch schlagen. Es ist wild und ungezähmt und gleichzeitig anschmiegsam und zärtlich. Es ist deine Berufung. Das, wofür du auf dieser Erde bist. Es ist nicht immer einfach, aber es ist, ganz ohne Zweifel, Liebe. Die von südamerikanischer Musik beeinflusste Guajira verkörpert für mich wie kein anderer Stil im Flamenco dieses liebestrunkene Frühlings-Reise-Gefühl der über der nach Orangenblüten duftenden Stadt kreisenden cigüeñas.

Amor (Epilog)

Ausgangspunkt für den musikalischen Rahmen und diesen Abschluss des Albums war das Gedicht „Mañana de la Cruz“ von Juan Ramón Jiménez, das im Kehrvers zitiert wird. Außerdem Vincent van Gogh: Inspirierend und berührend seine Gemälde. Liebe macht nicht blind – sie lässt dich sehen, anders, neu wahr:nehmen: Erlebtes, Fantasie, Malerei und Dichtung verschmelzen in meinem mit muttersprachlich-dichterischer Unterstützung von Pedro Molina entstandenen lyrischen Gemälde über „Amor“:

amor

el cielo una canción
de amor y sangre la amapola
y tu cuerpo ¡ay! pura luz de primavera

¡viva el viento! el viento que nos da
alas y olas que llevan su cantar

vámonos al campo por romero;
vámonos, vámonos
por romero y por amor …

el trigo un manantial
de ascuas y suspiro el olivar
y tus brazos aire y son de primavera

¡viva el viento! nos hace olvidar
que para siempre no será

vámonos al campo por romero;
vámonos, vámonos
por romero y por amor …

es libertad tu voz
la mirada agüita clara
y tus labios ¡ay! sabor de primavera

¡viva el viento! que nos hace volar
sobre el tiempo desde la fuente hacia el mar

vámonos al campo por romero;
vámonos, vámonos
por romero y por amor …

versos sobre lienzo
cantos de óleo y luz
y en mí tu recuerdo derrochando primavera

¡viva el viento!

que nos suelta
que nos junta
que nos ama

jörg hofmann | juan ramón jiménez

liebe
keine Übersetzung, sondern eine über:setzung

der himmel ein gesang
von liebe und von blut der mohn
und dein leib, ach, reines licht des frühlings

es lebe der wind! der wind, der uns bringt
flügel, wellenhügel, auf denen er uns singt

gehn wir über land für rosmarin
gehen wir, gehen wir
für rosmarin und liebe …

der weizen eine quelle
von glut und seufzen der olivenhain
und deine arme hauchend, tönend frühling

es lebe der wind! der unsre zweifel bricht
für immer sein – wird es nicht

gehn wir über land für rosmarin
gehen wir, gehen wir
für rosmarin und liebe …

freiheit deine stimme
dein blick so klar wie wasser
und deine lippen, ach, köstlich wie ein frühlingstag

es lebe der wind! lässt uns fliegend gleiten
vom quell in richtung meer und über alle zeiten

gehn wir über land für rosmarin
gehen wir, gehen wir
für rosmarin und liebe …

leinwand voller verse
gesang aus ölfarben und licht
dich zu erinnern vergießt in mir verschwendend frühling

es lebe der wind!

der uns trennt
der uns vereint
der uns liebt

jörg hofmann/juan ramón jiménez

Komposition/ Arrangement/ Aufnahme/ Mix/ Mastering/ Artwork etc.

Alle Prozesse einer solchen Produktion selbst zu realisieren, ist ungewöhnlich. Normalerweise gibt es ein Team von Musikern, Tontechnikern, Grafikern, Fotografen u.v.m., die an der Entstehung eines solch komplexen Werkes beteiligt sind. Diese Dinge selbst zu lernen, braucht Zeit und eine hohe Motivation. Mir hat es schon immer Spaß gemacht, zu lernen, meinen Horizont zu erweitern und so ist dieses Album als Folge meiner jahrelangen intensiven Beschäftigung mit all diesen Feldern entstanden. Dennoch sind natürlich viele Menschen indirekt an der Entstehung eines solchen Albums beteiligt, die mich immer bestärkt und unterstützt haben, meiner Berufung weiter zu folgen. Daher möchte ich mich allen voran bei meiner Frau und meinen Kindern bedanken, die – auch unfreiwilliger Weise ? – jedes Thema auf diesem Album mitsingen können. Danken möchte ich aber auch allen, die meine Musik und meine Arbeit als Leiter und Lehrer des Zentrums für Flamencokunst LA SOLEÁ in Freiburg über so viele Jahre unterstützt haben. Ohne Euch wäre dieses Album nicht das, was es ist: Eine Hommage an das Gute in dieser Welt, Respekt, Frieden und vor allem: AMOR